Minihorror aus Ottakring: Barbi Marković

Barbi Marković
Geb. '80 in Belgrad, lebt seit '06 in Wien. Markovic machte mit "Ausgehen" '09 Furore, gewann mehrere Preise & wurde 2024 mit dem Leipziger Buchpreis geehrt.

Anmerkung Redaktion im April 2024: Das Interview ist im Dezember 2022 geführt worden. Das Horrorbuch, vom hier die Rede ist, ist unter dem Titel Minihorror erschienen und mit dem „Preis der Leipziger Buchmesse“ ausgezeichnet worden. Ihre Mini-Dankesrede können Sie hier nachschauen.

Artikelfoto: © Apollonia T. Bitzan 

INTERVIEW aus der Ausgabe 4 „Ottakringer Flâneur“


TINO SCHLENCH: Liebe Barbi, du lebst in Ottakring. Wie lange eigentlich schon?

BARBI MARKOVIĆ: Oh das weiß ich gar nicht genau, sicher über sechs Jahre. Wahrscheinlich mehr, es ist ja immer länger, als man denkt. Davor habe ich in ganz unterschiedlichen Ecken der Stadt gelebt. Nach Ottakring zu ziehen war eine existenzielle, relativ bewusste Entscheidung. Ich hatte Glück, meine jetzige Wohnung zu finden. Ein Freund von mir hat vor ein paar Jahren ein Gebäude geerbt und hier nach und nach all seine Freunde angesiedelt.

T: Dann wohnst du mit einem Teil deines Freundeskreises in einem Haus.

B: Ja, das ist ziemlich toll. Wir haben auch gemeinsam einen Raum, einen Off-Space: Ada. Inzwischen wohnen nicht mehr alle Vereinsmitglieder hier im Gebäude, sondern in der Nähe, oder sie kommen regelmäßig vorbei.

T: Ich habe online gelesen, dass der Verein so einen fancy englischen Namen hat: Artistic Dynamic Association.

B: Ach, das ist zu vergessen. Ada wurde eigentlich woanders in Ottakring gegründet, in einer alten Metzgerei. Dort waren viele Sachen untergebracht, zum Beispiel Play.fm oder auch Clubs und eben die erste Ada, gegründet von Leuten aus der digitalen Kunst, die sich diesen weirden Titel ausgedacht haben. Das lässt sich online besser finden. Ich glaube, dass die Ada ursprünglich nach Ada Lovelace benannt wurde [Anmerkung: Britische Mathematikerin und Gesellschaftsdame, Tochter von Lord Byron]. Zudem heißt so eine Insel in der Save in Belgrad, wo viele ihre Freizeit verbringen. Auch auf Türkisch heißt Ada Insel.

T: Was genau findet in der Ada statt?

B: Ganz verschiedene Dinge. Ziemlich viele Ausstellungen, Konzerte, eigentlich alles mögliche. Mit jungen, motivierten Leuten aus einem anderen Verein veranstalte ich dort den 10MINUTENSALON, bei dem nach zehn Minuten alle Alarmglocken klingeln und man auf keinen Fall weiterlesen darf. Das erzeugt eine sehr lustige Spannung, weil alle Lesenden unbedingt ihren kompletten Text unterbringen wollen. Das ist wirklich toll, das sollten wir bald wieder machen. Zudem gibt es Spielesalons, manchmal mit Kolleg:innen von der Experimental Game Culture. Dort geht es dann um interessante Rollen, Brett- oder Computerspiele. Neulich wurde zum Beispiel ein Zombie-Spiel namens „Die Nacht der gelebten Integration“ vorgestellt.

T: Dann bist du ziemlich stark im Verein involviert.

B: Ja, immer mal wieder. Und dann habe ich einen kleinen Burnout und komme irgendwann wieder zurück.

T: Glaubst du, dass sich dein Wohnort in irgendeiner Weise auf dein Schreiben auswirkt?

B: Ich muss bei dieser Frage an eine Meldung denken, die mir mal im Internet begegnet ist: „Täglich sind wir hier in Ottakring den Ausdünstungen der Ottakringer Brauerei und der Manner Fabrik ausgesetzt. Deshalb brauchen wir extra Pflege für unsere Haut.“ Vielleicht ist an diesen Ausdünstungen etwas dran. Vielleicht setzt sich dieser halbsüße Geruch im Hirn fest und erzeugt die trashigen, sympathisch stinkenden Texte, die ich schreibe. Keine Ahnung. Vermutlich beeinflusst jede Umgebung das eigene Tun, aber vielleicht auch gar nicht so entscheidend. Ottakring ist voll okay, schon weil von man hier aus schnell im Wald ist und da schreiben kann. Das habe ich auch schon gemacht, ein Picknick im Wald mit Schreibutensilien.

T: Fällt dir ein Roman oder Text ein, der den Bezirk besonders gut einfängt?

B: Besonders gut gefällt mir ein Rap-Hit aus den Nullerjahren: „Ottakringer Straße, Klick Klack – Kopfschuss“, findet man leider nicht mehr auf YouTube. Ich weiß gerade gar nicht, von wem das ist [„Balkanaken“ von Platinum Tongue und Mevlut Khan]. Ich dachte immer, ich hätte das erfunden, bis ich vor kurzem auf eine ganze Clique gestoßen bin, die das auch kennt. Wir wollen bald in der Ada einen Abend machen, an dem die Lyrics vorgetragen werden.

Das war für mich immer das coolste Lied über Ottakring. Aber es gibt sicher noch ganz viele andere Sachen.

T: Hast du einen Lieblingsort in Ottakring?

B: Vermutlich diese eine Straße, wo ich joggen gehe und deren Name ich immer vergesse. Da sieht mich immer ein Bekannter, der dort wohnt. Der glaubt deshalb, dass ich ganz oft joggen gehe, aber eigentlich mach ich das nur viermal im Jahr. Außerdem mag ich die Kreuzeichenwiese, da bringen die Leute immer ihre Hunde mit den lustigen Namen mit. Einmal gab‘s da eine Frau, deren Hund tatsächlich Bon Jovi hieß und nach dem sie lautstark gerufen hat. Und dann mag ich noch das Café Ritter, weil ich gleich in der Nähe wohne. Aber auch abgesehen davon find ich‘s dort sehr sympathisch. Im Ritter wurde ich das erste Mal als Autorin erkannt, was mir zuvor noch nie passiert ist.

T: Gleich beim Café Ritter gibt es einen Buchladen.

B: Ja, da schau ich mir immer die Auslage an. Alle anderen Autor:innen, mit denen ich befreundet bin, waren schon drin, ich noch nie. Also wenn ich dort mal in die Auslage reinkomme, dann hab ich‘s im Leben geschafft!

T: Dein Roman „Die verschissene Zeit“, der im vergangenen Jahr erschienen ist, war aber alles andere als unerfolgreich. Was waren denn die schönsten Reaktionen auf dein Buch?

B: Ich hab einige Fan-Briefe von bekannten deutschen Schriftsteller:innen bekommen. Das war super. Und dann war es natürlich schön, dass ich jetzt diesen Skandal hatte in Melk, wo sich Eltern über die Schimpfwörter in meinem Buch beschwert haben. Aber erst zwei Wochen nach der Lesung. 

T: Was ist denn genau in Melk passiert?

B: Also ehrlich gesagt nicht viel. Ich war dort, habe gelesen und die Schüler waren schon ein bisschen schockiert, dass jemand sowas überhaupt darf, hatte ich das Gefühl. Sie waren begeistert, weil mein Buch auf einem Rollenspiel basiert. Das wollten sie ausprobieren. In jeder Klasse gab es ein paar Nerds, die sich freiwillig gemeldet haben. Das fand ich schön. Aber dann hat die Direktorin zu mir gesagt: „Es war uns eine Ehre, dass Sie hier waren. Vielen Dank. Jetzt müssen wir im Lehrerzimmer darüber diskutieren.“ Das ist alles, was ich mitbekommen habe.

T: Aber so ein kleiner Skandal ist schon auch eine Auszeichnung für eine Autorin, oder?

B: Naja…es ist Melk. Eine Schule in einer kleinen Stadt hat sich beschwert, das ist kein großer Skandal. Mich belustigt das eher. Auch weil man sich laut Zeitungsartikel an erotischen Inhalten gestört hat. Ich wüsste gar nicht, dass die in meinem Buch vorhanden sind.

T: Du warst viel unterwegs mit dem Buch. Wie kann man sich so eine Lese-Tour vorstellen? Sex, Drugs and Rock ′n′ Roll  ja vermutlich nicht…

B: Eine wirkliche Tour war es gar nicht, die wäre besser organisiert gewesen. Es waren aber sicher 60 Lesungen in diesem Jahr, viel Hin-und-her-Fahren, jeden zweiten oder dritten Tag. Es ist schon jedes Mal so, dass man nicht einfach ganz brav sein kann und um 21 Uhr auf Wiedersehen sagt. Jedes Mal gibt es Menschen, die Energie in das Event hineingesteckt haben und die sich freuen, wenn alles geklappt hat. Und ich will ja auch selbst wissen, mit wem ich es zu tun habe und mag mich daher gar nicht sofort verabschieden.

T: Wie organisierst du das alles? 
Du schreibst ja neben den vielen Reisen auch an neuen Texten. Gerade lief ein Stück von dir im Werk X, das du mit Thomas Arzt und Mario Wurmitzer geschrieben hast. Auch von Horrorgeschichten habe ich gelesen.

B: Daraus besteht mein Leben, aus Organisation. Ich schau, dass es irgendwie klappt. Es gibt ja so Sachen wie Terminplaner. Das Stück im Werk X habe ich gerade gesehen, ich bin sehr glücklich damit. An den Horrorgeschichtenarbeite ich schon eine ganze Weile, sie werden vermutlich nächsten Herbst in Buchform erscheinen. Ich weiß aber gar nicht, wie viel Horror wirklich in diesen Geschichten stecken wird. Es wird Horror, wie ich das eben kann.

T: Abschließend noch eine Frage zu Ottakring: Gibt es hier auch Dinge, die dich nerven?

B: Mich nervt eigentlich gar nichts. Vielleicht sollte ich das in einem Interview nicht sagen, aber ich habe nie das Gefühl, dass ich auf irgendetwas in der Gesellschaft Anspruch habe. Ich bin froh, dass es hier Straßen gibt, Läden zum Einkaufen. Also ich kann mich echt nicht beschweren. Ottakring ist toll!

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