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Vom Sattel aus betrachtet: Zwischen ‚Hals- und Beinbruch‘ und ‚Freie Fahrt ins Glück‘

In der Wiener Fahrradszene brodelt es. Täglich schwingen sich unzählige Wienerinnen und Wiener auf ihre Räder, um die Stadt auf zwei Rädern zu erkunden, zur Arbeit zu fahren oder einfach die Freizeit zu genießen. Dass der Drahtesel immer beliebter wird, zeigen auch die Radzahlen 2022 der Mobilitätsagentur Wien. 11,7 Millionen Personen waren in jenem Jahr unterwegs. Der Trend steigt.

Doch wie sicher und angenehm ist das Radfahren in der Donaumetropole wirklich? Unsere umfassende Befragung gibt Aufschluss über die Erfahrungen, Wünsche und Bedenken der Wiener Radfahrerinnen und Radfahrer
– eine erste Zusammenfassung.

Ein ungeheuerliches Abenteuer

Unsere erste Deep Dive-Reihe beschäftigt sich mit dem Thema Fahrradfahren in Wien. Ende Februar haben wir unsere Recherche begonnen und eine Umfrage veröffentlicht. Das Bild, das sich aus den ersten 150 Rückmeldungen ergibt, ist ein Mosaik aus positiven Momenten und frustrierenden Hindernissen. Von den einen ironisch als ein „tägliches Abenteuer“, von anderen als ständige Konfrontation mit dem motorisierten Verkehr beschrieben, zeigt sich insgesamt viel Frust unter den befragten Personen ab. Der Wunsch nach einem respektvollen Miteinander auf den Straßen und Gehwegen ist dabei deutlich.

Als Wiener Flâneur Redaktion sammeln wir weiter Daten über die tückischsten Stellen im Fahrradverkehr und dokumentieren diese auf einer interaktiven Karte, um sichtbar zu machen, wo Handlungsbedarf besteht. In den kommenden Wochen wird das Team tiefere Einblicke in die Bezirksebenen gewähren, um besser zu verstehen, warum es Bezirke gibt, die es offensichtlich gut schaffen, die motorisierte mit der sich zu Fuß oder per Zweirad bewegenden Welt zu verbinden. Bei anderen wird es schwieriger. Dem gehen wir nach und berichten hier sowie in unserem kostenlosen Newsletter.

Vorab aber: Ein erster Einblick in die Antworten unserer Leser*innen.


Dooring: Die Türfalle

Dooring, das unerwartete Öffnen von Autotüren auf Radfahrerwegen, ist eine der größten Ängste vieler Radfahrer*innen in Wien. Hier zeigen die Umfrageergebnisse klar: Viele fühlen sich durch parkende Autos am Straßenrand gefährdet, vor allem wegen der Risiken, die durch plötzlich öffnende Türen entstehen. Diese Angst vor Dooring-Unfällen wird durch die Aussagen unterstrichen, die auf die direkte Bedrohung hinweisen, welche parkende Autos für Radfahrende darstellen.

Die Forderung nach mehr Fluss auf den Fahrradstrecken und mehr Abstand zwischen Autofahrer*innen und Fahrradwegen macht den Wunsch nach einer sichereren Infrastruktur, die Dooring verhindert, sichtbar.

Die Stadt Wien hat bereits Maßnahmen ergriffen, um Radfahrende zu schützen, wie die Förderung von Transportfahrrädern und die Erweiterung des Radnetzes, doch die konkrete Angst vor Dooring zeigt, dass zusätzliche Anstrengungen notwendig sind, um die Sicherheit der Radfahrer*innen auf Wiens Straßen zu verbessern.

Zwischen Begeisterung und Besorgnis

Das Radfahren in Wien scheint ein Spiegelbild der städtischen Mobilitätspolitik zu sein: ambitioniert, aber oft in der Umsetzung gehemmt, ein Stückwerk aus gut gemeinten Ansätzen, die jedoch nicht immer ein kohärentes und sicheres Netz bilden. Die Radfahrenden fordern daher lautstark mehr Platz, durchgängige und sichere Radwege und eine Verkehrsplanung, die den Radverkehr als gleichwertigen Teil des städtischen Lebens anerkennt.

Was die Stadt bisher getan hat

Die Stadt Wien versucht es. Tatsächlich liegen viele Entscheidungen in den Bezirken selbst. Was die Sache etwas komplizierter macht. Das bedeutet nämlich, dass die Bezirke untereinander kommunizieren müssten. Dass das eine Herausforderung ist, können wir uns allzu gut ausmalen.

Trotzdem wurden mehrere Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur umgesetzt, darunter die Schaffung des neuen Radhighways entlang der Praterstraße. Diese Radverbindung, die in Kombination mit neuen Radwegen auf der Aspernbrücke, in der Aspernbrückengasse und auf der Lassallestraße entsteht, erstreckt sich über 7 Kilometer vom 1. Bezirk in die Donaustadt. Der neue Radweg entlang der Praterstraße wird über 4 Meter breit sein und Radlangstreckenqualität bieten. Dafür hat die Stadt zurecht tief in die Tasche gegriffen. Das Projekt soll noch im Sommer fertig werden.

Außerdem ist eine Verbreiterung der Radverkehrsanlage auf der Lassallestraße geplant, da diese zu den am stärksten genutzten Radwegen gehört. Diese Maßnahmen sind Teil eines größeren Plans, das Radfahren in Wien sicherer und attraktiver zu machen​​.

Die Frage bleibt allerdings: Brauchen wir „Radlangstreckenqualität“ oder wollen wir einfach nur sicher von A nach B kommen?

Was noch passieren muss

Die Ergebnisse der Umfrage sind ein eindeutiger Aufruf an die Verantwortlichen der Stadtplanung, Verkehrspolitik und alle Verkehrsteilnehmer*innen, gemeinsam an einer lebenswerten, sicheren und radfreundlichen Stadt zu arbeiten. Wien hat das Potenzial, eine wahre Fahrradstadt zu werden, doch es bleibt noch viel zu tun. Es geht nicht nur um Infrastruktur und Verkehrsregelung, sondern auch um ein Umdenken in der Gesellschaft, um Respekt und Rücksichtnahme im Straßenverkehr.

Radfahren in Wien – das ist momentan noch eine Mischung aus Freude und Frust, Potenzial und Problemen. Doch die Stimmen der Radfahrenden sind klar: Sie wünschen sich eine Stadt, die nicht so in internationalen Rankings leiwand ist, sondern auch von der Lebensqualität ihrer Straßen lebt. Eine Stadt, in der Radfahren nicht nur möglich, sondern eine Freude ist. Die Weichen sind gestellt, jetzt gilt es, mutig und entschlossen voranzufahren.

Wir hoffen, Sie bleiben bei diesem Deep Dive dabei und freuen uns, wenn Sie der Flâneur weiter lesen.

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