Ich schillere nicht. Ich bin Durchschnitt.

Hallo. 

Ich stehe in der Nähe des Wilhelminenspitals und für die, die ihn kennen, gegenüber dem frisch sanierten Lobmeyrhof. Ich schillere nicht. Ich bin Durchschnitt. Ich bestehe aus drei Blöcken, meine Fassaden sind Graubraun, meine Fenster stehen in Reih und Glied, meine Eingangstüren fügen sich dem Raster. Selbst die Balkone betonen einen geradlinigen Auftritt. Schief ist hier nur die Straße, was ich natürlich perfekt ausgleiche, man beachte die versetzten Fensterreihen. Wer nicht hier wohnt, schaut gerne weg, oder schlimmer noch, rümpft die Nase. Für viele bin ich der Inbegriff langweiliger Architektur, ohne Gesicht, ohne Namen. 

Auch wenn ich zugeben muss, einen Namen hat man mir wirklich nicht verpasst! Vielleicht aber wird das noch, viele Gemeindebauten wurden erst spät nach ihrer Errichtung getauft. 

Ich bin ein Querdenker! 

Meine drei Blöcke stehen quer zur großen Straße und zu der hier sonst dominierenden Blockrandbebauung. 

Wer viel flaniert, weiß wovon ich spreche. Blockrandbebauung heißt, ein Grundstück maximal, also bis zur Grundstücksgrenze zu bebauen. Tja und das wiederum bedeutet für Flanierer, sich entlang von meist grauen Hauswänden zu bewegen. Das kann ganz schön heiß werden in den Sommermonaten, oder frisch, wenn der Wind ungehemmt durch solche Straßen fegt. Bei mir ist das anders. 

Nicht nur durchbrechen die Grünstreifen zwischen meinen Blocks das städtische graubraun, nein, auch die Dichte der Stadt wird aufgelockert. 

Hier kann der Blick bis in die nächste Straße schweifen. Ich bin Teil eines Wohnbauprogrammes der 1950er Jahre. Damals mussten schnellstmöglich Wohnungen gebaut werden. Kein Firlefanz, sondern schlichte Formen, alles gerade und ordentlich und vor allem günstig und einfach zu bauen. Möglichst gleich auszusehen kann auch ein politisches Statement sein, Ausdruck von modernem Denken. 

© Haeferl, Wikimedia
Flaneure, aufgepasst: In den 1950ern wurden an Gemeindebauten häufig Mosaike oder Sgraffitos angebracht. Diese Wiener Besonderheit findet derzeit internationale Beachtung und ist in nicht nur in Ottakring allgegenwärtig – ihr findet sie in jeder Gasse. ©Haeferl, Wikimedia

Heute mag man unter moderner Optik vielleicht etwas anderes verstehen. Bitte aber nicht vergessen, ich bin ein Kind der Nachkriegszeit! Stichwort: Wohnungsnot, Hunger und Armut in den Städten, Sehnsucht nach Neubeginn. Insofern erzähle ich durch mein Aussehen ein Stück Österreichischer Geschichte, vom Wandel der Gesellschaft. 

Das wichtigste ist natürlich, ich biete Raum zum Wohnen, konkret 128 Wohneinheiten, und dazu ganz viel Raum zum Atmen. 

Wie so oft bei Gemeindebauten wurde auch bei mir auf das Grün dazwischen geachtet. Bäume, Wiesen, Ruhezonen mit Bankerln und Sandkisten für meine kleinsten Bewohner und Bewohnerinnen. 

Nicht zu vergessen, auch meine Wände zieren farbenfrohe Kunstwerke! Der Österreichische Maler Karl Hauk hat sich hier verwirklicht genauso wie Robin Christian Andersen. Die beiden mögen vielen heute kein Begriff mehr sein. Seinerzeit waren sie durchaus prominente Zeitgenossen, im Wien der 1950er Jahre. Andersen zum Beispiel lehrte an der Akademie der bildenden Künste, zu seinen Studenten zählten Arik Brauer, Ernst Fuchs und Lisl Engels!

Text: Franziska Mayr-Keber

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