LITERAKT: Auf ausziehende Weise anziehend

Eine Buchempfehlung der anderen Art

Im Hauptraum des seit 1740 zum ersten Mal urkundlich erwähnten Wirtshauses „Weinhaus Sittl – zum goldenen Pelikan“, das sich seit dem kaum verändert zu haben scheint, sitzt im Jahr 2017 ein nackter Mann, sein Gesicht ist verdeckt von einem Buch mit dem Titel „Die Anarchie der Vorstadt. Das andere Wien um 1900.“.


Franz‘ Buchtipp: „Das Buch schildert den Alltag der Wiener Vorstädte um 1900: die Sorge um das tägliche Überleben und die Flucht in die Traumwelten der Singspielhallen, der Beisln, der Kinos, der Varietés, der Schaustellerei.“ … zum Literakt-Beitrag © Literakt

Gefunden haben wir das Foto auf dem Instagram Profil von Literakt, auf dem sich noch weit mehr Bilder von nackten Menschen mit Büchern befinden. Wir haben uns mit zwei der drei Frauen hinter Literakt, Marion und Hanna, getroffen, um zu erfahren, was hinter der doch recht ungewöhnlichen Inszenierung von Büchern steckt.

Ottakringer Flaneur: Bei der Recherche nach Bildern zu Ottakring bin ich auf ein Foto gestoßen, das offensichtlich im Gasthaus Sittl im 16. Bezirk aufgenommen wurde. Ein recht untypisches Foto für ein Wiener Wirtshaus: Wie kam es zu dem Bild?

Marion: Das Foto entstand im Rahmen unseres Projekts Literakt. Wir haben es auf Wunsch eines Freundes, der seine Buchempfehlung beisteuern wollte, geschossen. Dass wir im Sittl fotografieren durften, ist den beiden wunderbaren Kellnerinnen zu verdanken.

Sie hatten Lust, uns bei der Idee zu unterstützen und stellten ihr Lokal zur Verfügung. Übrigens während der regulären Öffnungszeiten – wir mussten also schnell sein!

OF: Ihr zeigt auf Eurem Profil nackte Menschen mit Büchern. Was genau ist Literakt?

Hanna: Literakt ist eigentlich ein Blog. Diejenigen, die uns über Instagram kennen, wissen oftmals gar nicht, dass es eine dazugehörige Webseite gibt. Wir hatten die Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der Bücher auf anziehende – bzw. ausziehende – Art und Weise vorgestellt werden können. Es geht darum, mehr Lust auf Literatur zu machen.

OF: Wie kann man bei Literakt mitmachen?

Hanna: Jede und jeder kann einen Beitrag einreichen, gekoppelt mit einem Nacktfoto, wobei man aber nicht ganz nackt sein muss. Auch Unterwäsche ist in Ordnung. Die Hauptregel ist: die Genitalien müssen verdeckt sein, ebenso das Gesicht.

Marion: Uns ist es wichtig, dass das Buch im Vordergrund steht und die Privatsphäre der Menschen, die uns ihr Foto übermittelt haben, gewahrt bleibt.

OF: Dann gibt es dazu eine Empfehlung …

Hanna:Genau. Auf unserer Webseite stehen vier Fragen, die es zu beantworten gilt, um den Leserinnen und Lesern einen Eindruck vom Buch zu vermitteln.

Wir möchten wissen, was den Menschen dazu bewegt hat, genau dieses Buch zu empfehlen, welche Stelle im Buch besonders inspirierend war und welches Gefühl nach dem Lesen der letzten Seite geblieben ist. Dabei spielt das Genre keine Rolle: Von Comics über klassische Literatur und Sachbücher bis hin zu Wissenschaftsbüchern ist alles dabei.


Die drei Freundinnen Hanna, Katharina und Marion stecken hinter dem Projekt Literakt. © Literakt

OF: Wie seid Ihr darauf gekommen, Nacktheit mit Literatur zu verbinden? Ich könnte mir gut vorstellen, dass Alkohol im Spiel war, als ihr beiden auf die Idee kamt.

Marion: Was für eine Unterstellung … Nein, Du hast recht, es war genau so!

Hanna: Nach einem Tagebuchslam saßen wir zu dritt – Katharina konnte heute leider nicht dabei sein – etwas länger in der damals noch existenten Bar Irrlicht im 15. Bezirk.

Wir hatten große Lust, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Und da wir alle Bücher und nackte Körper mögen, entstand einige Weingläser später Literakt.

Marion: Die Idee war unter anderem, auf unkonventionelle Weise auch diejenigen anzusprechen, die nicht regelmäßig ausführliche Buchrezensionen lesen.

OF: Wie habt Ihr angefangen? Wo kamen die ersten Fotos und Empfehlungen her?

Hanna: Das war am Anfang gar nicht so leicht, was sich aber schnell änderte. Die ersten Bilder steuerten Freunde bei, die die Idee spannend fanden. Die erste Fremdzusendung hat zwar etwas auf sich warten lassen, kam dann aber nach einigen Beiträgen.

OF: Es ist doch ein sehr intimer Zugang zur Literatur. Hattet Ihr Befürchtungen, dass nicht genug Einsendungen kommen könnten?

Marion: Nein, überhaupt nicht, denn wir hatten weder Zeitdruck noch irgendwelche Erwartungen. Es hat uns einfach Spaß gemacht, die Bilder entstehen zu lassen, den Blog zu starten und zu schauen, was passiert.

OF: Von wem kommen die Einsendungen jetzt?

Hanna: Die meisten sind aus dem deutschsprachigen Raum. Das liegt daran, dass der Großteil unserer Beiträge auf Deutsch veröffentlicht wird. Seitdem wir aber auf Instagram sind, werden wir von Menschen aus der ganzen Welt entdeckt.

Die Ästhetik der Bilder hat keine sprachlichen Grenzen. Worüber wir uns aber besonders freuen, ist eine kleine Fan-Community in Indien zu haben, die auch selbst Beiträge geschickt hat.

Marion: Das Zielpublikum hat sich auf die ganze Welt ausgedehnt. Indien, Mexiko … Ottakring.

OF: Seid ihr noch auf anderen Kanälen präsent?

Marion:Unser Hauptmedium war ursprünglich unser Blog. Instagram hat sich aber mit der Zeit am stärksten durchgesetzt. Ein Part bei Literakt ist die kreative Bildgestaltung, das funktioniert auf dem Medium am besten.

Wir nutzen Instagram aber auch zum Netzwerken und zur Inspiration. Wir folgen vielen großartigen FotografInnen, KünstlerInnen, Menschen, die die Liebe zur Literatur teilen, feministischen Initiativen etc.

OF: Wo ist bei Euch die Grenze zwischen Akt und Sexualisierung? Wurdet ihr schon mal zensiert?

Marion: Auf Instagram muss man bestimmte Körperteile verpixeln, wobei das Regelwerk zwischen Frauen- und Männerkörpern unterscheidet, was ziemlich unfair ist.

Das ist der Vorteil eines eigenen Blogs. Dort können wir die Bilder so publizieren, wie sie gedacht sind.

OF: Inwiefern unterscheidet Instagram da zwischen den Geschlechtern?

Marion: Brustwarzen von Frauen dürfen nicht gezeigt werden, von Männern dagegen schon. Das hat mit der Sexualisierung des weiblichen Körpers zu tun.

Wo wiederum Geschlechtergleichheit herrscht: Vollständig zu sehende Pos sind grundsätzlich tabu. Mit Tanga ist erlaubt, ohne nicht. Ziemlich absurd.

Bei Literakt geht es uns gerade darum, die Natürlichkeit von Nacktheit zu unterstreichen. Das heißt natürlich nicht, dass wir jetzt alle permanent nackt herumlaufen sollen.

Aber die Diskrepanz zwischen Übersexualisierung und gleichzeitiger Prüderie in Werbung und Medien ist sicherlich nicht vorteilhaft für unser aller Körperselbstverständnis und unsere Sexualität.

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Ninas Buchtipp: „Gedichte“ von Karl Kraus Warum empfiehlst du dieses Buch? Zwei Worte: Karl Kraus Mehr Worte: Das Buch enthält satirische, sprachlich pointierte Gedichte über menschliche Verhaltensweisen, die von Kraus verhasste Presse, nachdenkliche Zeilen gegen den Krieg u.v.m. Einzig das Frauenbild von Kraus ist, wenn auch aus der damaligen Zeit zu betrachten, eher schwerlich zu verdauen. Intelligente Frauen gab es für ihn kaum, die Frauenbewegung lehnte er ab. Du hast den letzten Satz gelesen, schlägst das Buch zu. Was bleibt? Die Frage, die ich mir mindestens einmal jährlich stelle: Wann schaffe ich es endlich, Kraus‘ Antikriegstragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ zu lesen. Was ist dein Lieblingsgedicht? „Die Schuldfrage Wer diesen Krieg hat angefangen: die endlose Frage den Schlaf mir stört. Doch soll ich wieder zur Ruhe gelangen, beginnet: Wer hat damit aufgehört.“ . #buchtipp #lesen #buch #bücher #wien #vienna #buchempfehlung #sommer #karlkraus #gedichte #badfischau #suhrkamp

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OF: Kommen mehr Bilder von Frauen oder von Männern?

Hanna: Das ist ganz unterschiedlich. Es gab einen Moment, wo wir vermehrt Bilder von Männern hatten und kaum Frauen dabei waren. Das hat sich aber von selbst ausgeglichen.

Marion:Eine Sache ist uns aber aufgefallen. Wenn wir unterwegs sind, fragen wir immer wieder gerne Leute, ob wir sie nackt fotografieren dürfen.

Und ohne das als ultimative These festhalten zu wollen: Männer sagen schneller zu („ich brauche aber einen Weltatlas, sonst sieht man was“), machen am nächsten Tag aber oftmals wieder einen Rückzieher. Frauen, die einmal zugesagt haben, machen den Beitrag dann auch sicher.

OF: Habt Ihr jemals Dickpics im Postfach gehabt?

Hanna: Die Einsendungen waren bislang immer sehr korrekt. Ein Dickpic gab es aber doch. Ein Mann hat ein Foto von sich geschickt, auf dem er nackt mit einer Tasse und einer Kaffeekanne zu sehen ist. Darunter die Worte: „Guten Morgen, der Kaffee ist fertig!“.

Die Kaffeekanne auf dem Bild war aber leer, es hat also nicht einmal Sinn ergeben. Die Person hat das Bild damals an mehrere Frauen geschickt, es war also nicht spezifisch an Literakt gerichtet.

OF: Als Ihr Euren ersten Blogpost veröffentlicht habt, wart Ihr da aufgeregt?

Marion: Wir fanden die Sache so spannend, da war alles aufregend. Genau darum geht es uns. Literakt soll einfach Spaß machen. Von der Buchauswahl übers Shooting bis hin zur Veröffentlichung.

Hanna: Ich fand es sehr aufregend, als plötzlich Feedback von Leuten kam, die wir nicht kannten. Da haben wir gemerkt, dass das Interesse an unserem Projekt über unseren Bekanntenkreis hinausgeht.

OF: Welchen Schritt wird Literakt als Nächstes gehen?

Hanna: Das kommt ganz darauf an, was wir für Einsendungen erhalten. Wir planen die Zukunft von Literakt nicht wirklich. Wir sind aber so begeistert, wie schön die Bilder sind, dass wir überlegt haben, vielleicht einmal eine Ausstellung oder einen Bildband zu machen.

OF: Wie wäre es denn mit einem Shooting in einer weiteren Location in Ottakring?

Marion: Da sind wir natürlich sofort dabei. Ich fände z.B. ein Nacktshooting in der Ottakringer Brauerei oder in der Manner Fabrik spannend. Wenn jemand darauf Lust oder eine tolle Location-Idee hat: Schreibt uns einfach an!

Websitelink: Literakt Blog

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