Viel Oida, aber auch Bruda

Das Wienerlied klingt für viele nach Abenden in alten Heurigen und nostalgischem Flair. Aber es hat sich längst zu etwas Neuem entwickelt. Auf dem Schrammel.Klang.Festival traf der Wiener Flaneur drei dafür mitverantwortliche Personen: Zeno Stanek, Tini Kainrath und Ernst Molden. 

Zwischen Dudeln, Schrammelmusik und modernen Einflüssen wie Jazz, Rap und Indie-Rock hat sich diese Musikrichtung stetig weiterentwickelt: Das Wienerlied, einst Symbol für Nostalgie und Melancholie, fand den Weg in die moderne Welt, ohne seine Wurzeln zu verlieren und hat nun eine aufregende Zukunft vor sich. Auf dem Schrammel.Klang.Festival, sprach der Wiener Flaneur mit drei Künstler*innen, die das Wienerlied nicht nur verkörpern, sondern auch erneuern.

Einer von ihnen ist Zeno Stanek. „Was braucht es für authentische Schrammelmusik?“, fragen wir ihn. Und er antwortet sogleich: „Die Natur!“ Stanek hat als Gründer des Festivals deshalb eine einzigartige Verbindung zwischen Musik und Umgebung geschaffen. 

Unweit von Wien, inmitten des Waldviertels, spielt die Musik auf Bühnen, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen – ohne Verstärker und Lichtershows. „Verstärkte Musik hat ihre Berechtigung, aber diese Musik entfaltet sich am besten in ihrem natürlichen Umfeld.”

Stanek erklärt, dass das Festival eine Hommage an Kaspar Schrammel ist – den Vater der legendären Schrammelbrüder, die diese Musik im 19. Jahrhundert prägten. Doch das Wienerlied war von Anfang an eine Mischung. „Es gab italienische, böhmische, ungarische und jüdische Einflüsse. Was diese Musik zusammenhält, ist die Sprache. Ähnlich wie heute, wo das Wienerlied in verschiedenste Richtungen wächst, war es auch damals ein Schmelztiegel.


Das Vorstadtkollektiv ist eines der Newcomer-Projekte auf dem Schrammel.Klang.Festival 2024. Marlene Janschütz, Gesang, Paul Seifreid an der Kontragitarre und Lukas Seifried an der Knopfharmonika setzen auf alte und neue Klänge des Wienerlieds. ©Wiener Flâneur/Alexandra Folwarski

Alles ist erlaubt

Eine von denen, die diese moderne Interpretation des Wienerlieds mitprägt, ist Tini Kainrath. Ihr Weg zum Wienerlied ist unkonventionell. Sie erzählt, wie sie bei ihrem ersten Wienerlied-Auftritt gar nicht genau wusste, was sie eigentlich singen sollte. „Ich hab’ mir gedacht: ‚Das geht doch nicht! Ich kann keine Wiener Lieder!‘ Und dann hab’ ich halt irgendwas zusammengepfuscht“, erzählt sie lachend. Doch schnell wurde ihr Talent erkannt. Das Dudeln – eine alte, dem Jodeln verwandte Technik des Wiener Volksgesangs, die um 1850 entstand, faszinierte die Sängerin besonders.

Überwiegend Frauen dudelten. Kainrath selbst wurde noch von Trude Mali, einer der letzten großen Dudlerinnen, in diese Kunst eingeführt. „Es war für sie fast ein Schock, dass das Dudeln doch nicht mit ihr ausstirbt“, sagt Kainrath. Heute lebe diese Tradition aber auch dank anderer Künstlerinnen wie Agnes Palmisano weiter. Kainrath meint daher: „Es ist eine gute Zeit für das Wienerlied. Alles ist erlaubt, es gibt keine strengen Regeln mehr. Solange es wienerisch klingt, kannst du jedes Genre damit mischen – sei es Jazz, Soul, oder sogar Gospel. Die Leute lieben diese Vielfalt!“

Von Beginn eine Stilmixtur

Ernst Molden, einer der bekanntesten Singer-Songwriter Wiens, sieht das ähnlich. Für ihn ist das „neue“ Wienerlied ein Sammelbegriff, unter dem viele verschiedene Musikrichtungen zusammengefasst werden können. „Was mich freut, ist, dass die wienerische Sprache wieder mehr Anerkennung findet. Anfang der 2000er war das fast tot. Heute spielen Radiosender wie FM4 Wiener Musik mit Texten in unserer Sprache“, berichtet Molden. Doch er sieht sich selbst nicht als traditionellen Wienerlied-Interpreten. „Ich mache Lieder aus Wien, aber das alte Wienerlied? Nein, das ist nicht mehr mein Zugang. Die Musik verändert sich und das ist gut so.“

In seiner Musik vereint Molden amerikanische Roots-Musik mit wienerischen Texten. Es ist diese Kombination, die seine Musik so außergewöhnlich macht. Doch er ist nicht allein: „Künstler wie Die Strottern oder Voodoo Jürgens haben einen riesigen Beitrag zur Erneuerung der Wiener Musik geleistet. Die Strottern zum Beispiel haben die Leichtigkeit und den Humor des Wienerlieds genommen und in die Gegenwart transportiert. Gleichzeitig fließen bei Künstlern wie Voodoo Jürgens Elemente des Indie-Rock und sogar des Hip-Hop ein, ohne den Bezug zur Wiener Tradition zu verlieren.“ Molden verweist dabei darauf, dass das ursprüngliche Wienerlied, das oft als starr und unflexibel angesehen wird, von Beginn an eine Stilmixtur war.

Offen für neue Einflüsse

Das Wienerlied ist heute aber  vielfältiger denn je. Dudlerinnen wie Kainrath oder Singer-Songwriter wie Molden, der mit Christopher Seiler von Seiler und Speer auch einen Rapper zu sich auf die Bühne holt, zeigen, wie lebendig diese Musik ist. Stanek betont, dass sein Festival genau diese Vielfalt repräsentiert: „Wir hatten dieses Jahr zum ersten Mal Rapper wie Kreiml & Samurai dabei. Die Leute waren überrascht, aber die Reaktion war positiv. Es zeigt, dass das Wienerlied offen ist für neue Einflüsse.“ Doch wie schafft es eine Musikrichtung, die so tief in der Tradition verwurzelt ist, den Spagat zwischen Alt und Neu? „Es ist die Sprache“, sagt Molden. „Solange es auf Wienerisch gesungen wird, funktioniert es. Wienerisch ist wie eine Musik an sich, es trägt den Rhythmus in sich.“ 

Was ist Wienerisch? 

In Ottakring wird es gesprochen, in Erdberg und überall sonst auch. Es verändert sich. Da ist viel Oida dabei, aber auch Bruder.
Ernst Molden

Von Ottakring bis Erdberg

Eine Frage, die bleibt: Wird das Wienerische als Sprache überleben? Tini Kainrath ist optimistisch: „Es gibt immer wieder Leute, die sich Sorgen machen, dass das Wienerische ausstirbt. Aber ich glaube, es gibt genug Musikerinnen und Musiker, die es am Leben erhalten. Die Jugend muss es nur wieder mehr hören und sprechen. Wienerisch wird in Ottakring gesprochen, in Erdberg und überall sonst auch. Es verändert sich. Da ist viel Oida dabei, aber auch Bruda.“ Molden fügt hinzu: „Das Wienerische hat sich immer verändert. Es gibt heute vielleicht weniger Dialekt im Alltag, aber in der Musik lebt es weiter. Künstler wie Wanda oder Nino aus Wien haben das wieder populär gemacht, auch wenn sie eine modernere Form des Dialekts verwenden.“


Zeno Stanek sieht die Zukunft des Wienerlieds ebenfalls positiv: „Wir haben dieses Jahr mehr junge Leute beim Festival gesehen als je zuvor. Die Mischung aus alten Dudlern und neuen Künstlern wie Voodoo Jürgens zeigt, dass diese Musik nicht stirbt. Im Gegenteil, sie lebt auf eine neue Art weiter. Das Wienerlied war nie starr und wird es auch nie sein. Es ist so bunt und facettenreich wie die Stadt selbst. Solange es Wien gibt, wird auch das Wienerlied weiterklingen.“ Ob in einem gemütlichen Heurigen oder auf den großen Bühnen: Die Melodien des Wienerlieds verlieren ihre Kraft noch lange nicht.

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