Zu heiß für uns in dieser Stadt

Hitze, Beton und ein paar Nebelduschen – Wiens Kampf gegen den urbanen Hitzekollaps.

Text: Frederik Hocke

Warum die Stadt beim Kampf gegen Versiegelung zwar große Pläne, aber bisher nur kleine Erfolge hat – und was wir von Paris lernen könnten.

Es ist wieder so weit: Der Frühling kündigt sich an, die Temperaturen steigen, und mit ihnen auch die Vorahnung auf den nächsten Wiener Sommer. Während die ersten Sonnenanbeter bereits die Liegewiesen der Donauinsel bevölkern und Eisdielen ihre Türen öffnen, zeichnet sich am Horizont bereits die nächste Hitzewelle ab. Nach dem Rekordsommer 2024 – dem heißesten seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen vor 258 Jahren – stellt sich die Frage: Wie wappnet sich Wien gegen die zunehmende Hitzebelastung?

Die Antwort ist ernüchternd. Während sich die Stadtränder im satten Grün präsentieren, verwandeln sich die innerstädtischen Bezirke im Sommer in regelrechte Hitzeinseln. Ein Phänomen, das nicht nur das Wohlbefinden beeinträchtigt, sondern zunehmend zur gesundheitlichen Bedrohung wird. Was läuft schief in der Stadt, die sich gerne als eine der grünsten und lebenswertesten der Welt präsentiert?

Stadt der zwei Gesichter: Grüner Rand, grauer Kern

Um den Ursachen auf den Grund zu gehen, hat die Flaneur-Redaktion in den vergangenen Wochen mehr als 100 Wienerinnen und Wiener zu ihren Erfahrungen mit Hitze, Begrünung und Versiegelung befragt. Die Ergebnisse der umfangreichen, aber nicht repräsentativen Trendumfrage sind aufschlussreich: Genau die Hälfte der Befragten ärgert sich am meisten über zu viel versiegelte Fläche in ihren Bezirken. Weitere 28 Prozent sind von überhitzten Straßen im Sommer frustriert – ein Problem, das unmittelbar mit der Versiegelung zusammenhängt.

Diese Zahlen unterstreichen ein Paradoxon: Zwar macht der Grünraum in Wien beeindruckende 50 Prozent der Stadtfläche aus – ein internationaler Spitzenwert. Doch diese Grünflächen konzentrieren sich hauptsächlich auf große Parks, Wälder und Naherholungsgebiete am Stadtrand wie Wienerwald, Prater oder Donauauen. In den innerstädtischen Vierteln dagegen herrscht Grünarmut. In zahlreichen Stadtteilen beschränkt sich die Begrünungsquote auf kaum mehr als 10 Prozent – ein krasser Gegensatz zur Quote am Stadtrand, wo beispielsweise Hernals-Neuwaldegg auf 92 Prozent kommt.

Versiegelung als Wurzel vieler Probleme

Überhitzte Straßen sind letztlich ein direktes Symptom übermäßiger Versiegelung. Damit haben knapp 77 Prozent der Befragten indirekt das gleiche Problem benannt: das luft- und wasserdichte Zupflastern des Bodens, etwa mit Asphalt, was zur Folge hat, dass dort kein Niederschlag mehr eindringen kann. Dieser als städtischer Hitzeinseleffekt bekannte Vorgang wird durch fehlende Begrünung noch verstärkt und macht eine echte Abkühlung im Hochsommer in Wien nahezu unmöglich. Eine Studie der ETH Zürich bestätigt: Mit Bäumen begrünte Flächen in Wien sind im Sommer durchschnittlich 11 Grad kühler als verbaute Flächen.

Große Pläne, kleine Taten

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie „Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“, die 2023 von Arbeiterkammer und Boku publiziert wurde. Die Stadt habe zwar bereits gute Konzepte entwickelt, wie man eine gerechte Grünraumversorgung sicherstellen könnte – doch hapert es insbesondere an der Umsetzung. Statt konkrete politische Vorgaben für Neugestaltungen von öffentlichen Plätzen zu machen, setzt die Stadt primär auf medienwirksame PR-Maßnahmen wie Nebelduschen oder „coole Zonen“.

Zwar ist jede einzelne Maßnahme wichtig, um die Folgen akuter Hitze einzudämmen und besonders vulnerable Gruppen der Stadtbevölkerung zu schützen. Bei der nachhaltigen Bewältigung kommender Hitzewellen helfen solche Maßnahmen jedoch kaum – sie bleiben reine Symptombekämpfung.

Gerade in stark versiegelten Gegenden der Stadt zeigen sich die Folgen besonders deutlich. Gebäude und versiegelte Straßenzüge speichern die Hitze und können während Hitzewellen kaum abkühlen. Die Unterschiede werden in Zahlen greifbar: Im ersten Bezirk wurden im Sommer 2024 ganze 44 Tropennächte gemessen – Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius fällt. Im grünen 19. Bezirk auf der Hohen Warte waren es im gleichen Zeitraum nur 23 solcher Nächte.

Die Expertinnen und Experten der Studie kommen zum Schluss: Es braucht neben einer stärkeren Begrünungsoffensive vor allem für Neubauprojekte bessere Richtlinien gegen großflächige Versiegelung.

Pariser Vorbild: Radikale Transformation statt Symptombekämpfung

Auch die Flaneur-Community benennt in unserer Befragung konkrete versiegelte Orte in Wien, die dringend mehr Begrünung vertragen könnten. Hier wird beispielsweise der Bereich des Gürtels mehrfach erwähnt, aber auch erst kürzlich erschlossene Stadtteile wie die Bruno-Marek-Allee oder bereits umgebaute Orte wie der Praterstern, deren kühlende Effekte laut der Community hinter den Erwartungen zurückbleiben.

Wie könnten solche Projekte in Zukunft zielführender umgesetzt werden? Ein Blick nach Paris hilft. Die Stadtregierung hat es sich seit 2014 unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo zum Ziel gemacht, den öffentlichen Raum fairer zu verteilen und trotz steigender Temperaturen attraktiv nutzbar zu gestalten. Sei es durch für Autos gesperrte Stadtteile am Wochenende, massive Begrünungsoffensiven oder den Bau von hunderten Kilometern an Radwegen: Die französische Hauptstadt demonstriert, was möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist. Von dieser ambitionierten Klimapolitik darf sich Wien durchaus inspirieren lassen.

Graswurzelbewegung für mehr Grün

Wer nicht warten will, kann selbst aktiv werden. Bürgerinnen und Bürger müssen nicht auf die Stadt warten, wenn sie sich für mehr grüne Oasen in ihrer Nachbarschaft einsetzen wollen. Wie man das konkret angehen kann, haben wir ebenfalls in dieser Ausgabe zusammengestellt.