Wie baue ich eine Grätzloase in Wien?

Von der Parkfläche zur urbanen Oase

Eine Erfolgsgeschichte aus der Gaullachergasse: Wie Bürger*innen Wiens Straßen neu beleben.

Text: Francesca Grandolfo

Wer durch Wiens Straßen flaniert, hat sie vielleicht schon entdeckt: kleine Terrassen, oft nicht größer als ein Parkplatz, die sich zwischen die parkenden Autos schieben. Diese sogenannten Grätzloasen bieten konsumfreie Flächen im öffentlichen Raum. Man trinkt hier seinen morgendlichen Kaffee, genießt ein paar Sonnenstrahlen oder pflanzt gemeinsam mit den Nachbarn Kräuter und Blumen an. Besonders im Frühling verwandeln sich die oft selbstgebauten Konstruktionen in kleine grüne Inseln im urbanen Raum. Über 100 solcher Mini-Parklets gibt es bereits in Wien – initiiert und umgesetzt von Bewohner*innen für ihre Nachbarschaft.

Wenn Verkehrsregeln nicht ausreichen

Eine dieser Grätzloasen steht in der Gaullachergasse im 16. Bezirk. „Die Idee ist entstanden, weil ich bei einem Wohnstraßenfest bemerkt habe, dass fast niemand weiß, dass es eine Wohnstraße ist und sie deshalb auch nicht als solche genutzt wird“, erinnert sich Evelyn, die das Projekt initiiert hat.

Obwohl auf Wohnstraßen theoretisch Fußgänger Vorrang vor Autos haben und Fahrzeuge nur im Schritttempo zu- und abfahren dürfen, sieht die Realität anders aus. „Es wäre lebensmüde, hier Ball zu spielen, da vielen Autofahrer*innen nicht einmal bewusst ist, dass man durch eine Wohnstraße nicht durchfahren darf“, erklärt Evelyn. Die Situation sei in der Gaullachergasse besonders problematisch, da sich hier eine Volksschule befindet.

Vom Straßenschild zur urbanen Bühne

Evelyn beschloss, den Kindern mehr Raum zu geben, die Wohnstraße tatsächlich zu beleben und einen Ort zu schaffen, an dem die Nachbarschaft zusammenkommen kann. Gemeinsam mit ihrem Nachbarn Ben, einem Architekten, entwickelte sie ein Konzept für eine Grätzloase.

Die Pläne reichten sie bei der Agenda21 ein, einer Initiative, die Bürger*innen bei der Gestaltung des öffentlichen Raums unterstützt und als Schnittstelle zur Stadtverwaltung und Bezirkspolitik dient. „Der Entwurf muss nicht komplett ausgearbeitet sein“, erklärt Evelyn, „aber er muss alle Parameter enthalten, damit man eine Genehmigung bekommen kann.“ Die Behörden prüfen unter anderem die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und die Integration in den Straßenraum.

Für diejenigen, denen die technischen Fähigkeiten fehlen, bietet die Agenda21 auch modulare Fertiglösungen an. Ben jedoch entwickelte als Architekt ein individuelles Konzept: „Die Idee war, dass ich aus der Schule trete und dieses Parklet sofort als einladenden Ort wahrnehme.“ Inspiriert vom benachbarten Gebäude mit seinen charakteristischen Kastenfenstern entwarf er eine Art Bühnenbild. „Es ist sowohl von außen interessant zu beobachten als auch von innen zu erleben – ein Rahmen, in dem etwas passiert“, beschreibt Ben seine Vision.

Von Skepsis zu gemeinsamem Engagement

Die Einreichung wurde durch eine Jury der Agenda21 begutachtet, die über die Umsetzung und mögliche Fördergelder entschied. Bens Entwurf überzeugte, und das Projekt erhielt eine Förderung, die den Großteil der Kosten abdeckte. Die verbleibende Summe von einigen hundert Euro wurde von der Nachbarschaft gemeinsam aufgebracht.

Anfängliche Bedenken bezüglich möglichen Vandalismus oder Lärmbelästigung haben sich nicht bestätigt. „Es gab zunächst ein wenig Sorge, ob es zu Vandalismus kommen könnte oder hier viel Alkohol und Zigaretten konsumiert werden“, erinnert sich Evelyn. „Aber nachdem der Schulwart sofort angeboten hat, ein Auge darauf zu haben, waren die Skeptiker schnell beruhigt.“

Vom Plan zum Gemeinschaftsgarten

Mittlerweile ist die Grätzloase ein voller Erfolg und dient als Inspiration für ähnliche Projekte in Ottakring. Hier treffen sich nicht nur Eltern und Schulkinder, sondern die gesamte Nachbarschaft kommt zusammen. In den Hochbeeten wird gemeinschaftlich gegärtnert.