All das, was wir vermissen

„Sehen wir uns jemals wieder?“ Das fragt sich eine Outdoor-Ausstellung am Gürtel und zeigt Bilder von jener Vergangenheit, nach der sich Wiener Nachtschwärmer derzeit so sehr sehnen.

Tom Koch, Initiator von „Will I Ever See You Again“, arbeitete während der Organisation des Projekts mit dem Szeneplakatierer Rudi Hübl zusammen. ©Stephan Doleschal

Vergangenen Samstag, den 13. März, war es ein Jahr her, dass auf der Ausgehmeile am Gürtel zum letzten Mal gefeiert wurde. Seitdem herrschen dort Stille und Ödnis. Eine Plakataktion, initiiert vom Ottakringer Grafikdesigner Tom Koch, wirft die Frage auf, wie unsere „neue Normalität“ in Sachen Livemusik und Clubkultur zukünftig aussehen soll, kann und wird. Die Plakate zeigen Konzert- und Partyfotos aus der jeweiligen Location und wurden am Samstag an den Portalen und Fassaden von zehn Clubs zwischen Josefstädter- und Thaliastraße geklebt. Insgesamt 1200 DIN-A3-Plakate wurden von freiwilligen Helfern nach einem genauen Plan an den jeweiligen Clubs affichiert. Der Initiator Tom Koch sagt dazu: „Als Ottakringer, der hier immer wieder vorbeigeht und in der Nähe wohnt, ist mir der Verfall dieses Viertels in den letzten Monaten natürlich aufgefallen und sehr nahe gegangen. Ich wollte die Situation mit der Plakataktion überspitzen und einen wirklichen Anschein von Leerstand bewirken.“

Einige Clubbesitzer, wie Lautaro Alava vom FANIALIVE, packten selbst mit an.
©Stephan Doleschal

Koch weiter: „Weil es das ja in Wirklichkeit auch ist. Die Lokale stehen leer und das schon seit sehr langer Zeit. Denn seit vier Monaten ist hier gar nichts los. Die Fotos auf den Plakaten stammen aus dem einzigen Archiv, das es zu der Szene eigentlich noch gibt, nämlich dem Internet. Prinzipiell kann man heute nur dort erfahren, wie Clubkultur funktioniert hat vor einem Jahr. Die Aktion soll zum Nachdenken anregen und zeigen, dass wir sehr lange ohne etwas sind, was wir alle sehr genossen haben, und ohne das wir wahrscheinlich auch noch sehr lange sein werden. Dabei wird uns wahrscheinlich auch etwas Neues erwarten oder erwarten müssen, wenn die Clubs denn wieder aufsperren dürfen.“

Ekstase, Nähe, Emotion

Durch die Aneinanderreihung der unzähligen zweifärbigen Sujets ergeben sich wiederholende Muster, die sich immer wieder aufs Neue zusammensetzen — ganz wie das Kaleidoskop der Nacht, das sich in der Vergangenheit zwischen Thalia- und Josefstädterstraße jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit aufs Neue zusammensetzte. Über die Fotos gedruckt wird die durchaus berechtigte Frage: „Will I ever see you again?“ Das bezieht sich sowohl auf die Beziehungen der Menschen auf den Bildern (etwa Zufallsbekanntschaften oder Stammgäste), als auch auf die Bands, die dort aufgetreten sind. Auf einer Metaebene stellt sich in dieser Hinsicht natürlich auch die grundsätzliche Frage, ob und welche der Clubs überhaupt wieder aufsperren werden.

 „Bei den Bildern merkt man doch, dass da bei uns allen eine Art innerer Upload-Filter installiert wurde. Keine Masken, distanzlos, viele Menschen auf engem Raum: Das betrachten wir heute mit Unbehagen. Vor einem Jahr war das aber ganz normal.“ Koch erklärt die inhaltliche Konzeption: „Die Aktion soll kein Hilfeschrei sein, sondern zum Nachdenken anregen darüber, wie wir Clubkultur zukünftig konsumieren wollen und werden. Egal, wie es sein wird, es wird ein Weg sein müssen, wo Hedonismus, Ekstase, Nähe und Emotion wieder eine Rolle spielen, weil es uns als Menschen ausmacht. Die Aktion soll genau das aufzeigen.“ Die Initiative versteht sich als unpolitisch, stellt keine Forderungen und wird von außen, aus der Perspektive der Musik-Aficionados, der Konsumenten und Besucher initiiert. Sie soll in erster Linie zum Nachdenken anregen. Ob die Aktion wirklich unpolitisch ist, bleibt die Frage. Haben wir doch im letzten „Ottakringer Flaneur“ [Der Gürtel schnallt enger und enger] deutlich gemacht, dass ohne Hilfe der politischen Entscheidungsträger, die Clubkultur in Wien kaum Überlebenschancen hat.

Bei einem Spaziergang zu sehen an zehn Lokalen am Gürtel: Café Carina, Chelsea, Concerto, Fania Live, Kramladen, Loft, Loop, Rhiz, Wienstation, Weberknecht und im Durchgang Thaliastraße

Unterstützt haben die Aktion mehrere Teams u.A. vom Plattenladen „Recordbag“, der „Gürtel Connection“ und der „Ottakringer Flaneur“-Community.
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