Die Lieder eines rastlosen Wanderers

Text: Johannes Lau

Manch einer lebt in Ottakring, manch einer stirbt in Ottakring: Viele werden hier aber auch geboren. Einer der Söhne dieses Bezirks war der Schriftsteller Albert Ehrenstein. Er kam am 23. Dezember 1886 auf die Welt. Wo sein Geburtshaus steht, ist unklar. Veronika Hofeneder vom Institut für Germanistik in Wien vermutet, dass es sich um die Ottakringer Straße Nr. 114 handelt: „Diese Adresse verwendet er einige Jahre nach 1907 im Briefkopf. Es könnte sich hier durchaus um das Elternhaus handeln, da er nach einem Nervenzusammenbruch wieder bei seiner Familie untergekommen ist.“ Auch die gegenüberliegende Ottakringer Brauerei sei ein Indiz dafür – Ehrensteins Vater arbeitete dort als Kassier.

Seine Eltern sind arme Ottakringer Juden, er wird in bescheidenen Verhältnissen groß. So heißt es in seinem Gedicht Wanderers Lied: „In der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich, / Ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte, / Schimmel freut sich an den Wänden“ Dennoch können die Eltern ihm ein Studium ermöglichen – er belegt die Fächer Geschichte und Philosophie an der Universität seiner Heimatstadt. Wissenschafter will er aber keiner werden, sondern Schriftsteller: „Durch fünf Jahre angeblichen Studiums sicherte ich mir die Freiheit: Zeit zu dichterischer Arbeit.“

In der Literatur macht der inzwischen in Berlin lebende Ehrenstein erstmals 1911 mit der Erzählung Tubutsch von sich reden. Der von Oskar Kokoschka illustrierte Text gilt heute als eines der bedeutendsten Prosastücke der Avantgarde. Bereits damals loben namhafte Autoren wie Karl Kraus oder Alfred Döblin die Geschichte des orientierungslos herumirrenden Karl Tubutsch.

Den Ersten Weltkrieg verbringt Ehrenstein nicht an der Front, sondern im Militärarchiv – zu seiner Freude: Die Kriegsbegeisterung vieler anderer Künstler seiner Zeit teilt er nicht. Frühzeitig entlassen, arbeitet er danach in verschiedenen Verlagen in Leipzig und Berlin, aber immer nur kurz: „Wegen persönlicher Zerwürfnisse und nervlicher Krisen sind Ehrensteins Engagements nie von langer Dauer“, verrät Hofeneder. Ende 1916 zieht Ehrenstein in die Schweiz. Aber angewidert von den Kriegsgräueln („Wir taumeln einher im Blutmeer.“) und enttäuscht von der in Deutschland gescheiterten Revolution 1918 wendet sich Ehrenstein innerlich immer mehr von Europa ab: Er unternimmt in den Folgejahren zahlreiche Reisen nach Nordafrika und in den Nahen Osten. Literarisch flüchtet er sich in Nachdichtungen chinesischer und antiker Stoffe.

1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, landet sein Werk im Feuer der Bücherverbrennung. Ehrenstein ahnt schnell, was das für ihn als jüdischen Schriftsteller zu bedeuten hat. Nach Aufenthalten in England, Frankreich und Spanien kann er 1941 endlich in die USA entkommen – Autoren wie Thomas Mann hatten für ihn eine Aufenthaltsbewilligung erreicht. In New York kann Ehrenstein aber nicht Fuß fassen. Wenige Texte werden publiziert – er lebt hauptsächlich von Zuwendungen anderer Künstler wie etwa dem Maler George Grosz.

Nach Kriegsende kehrt Ehrenstein noch einmal nach Europa zurück. Da er aber hier keinen Verleger findet, zieht es ihn bald wieder nach New York, wo er 1950 in Folge von zwei Schlaganfällen in einem Armenhospiz verstirbt. Kurt Pinthus, der Herausgeber der berühmten expressionistischen Gedichtsammlung Menschheitsdämmerung, die zahlreiche Texte Ehrensteins enthält, spricht die Grabrede: „Der Mensch, der nach ziellosem Leben hier im Tode ruht, war ein großer Dichter. Nicht viele wussten das, noch wissen es wenige.“ Hiermit sei daran wieder erinnert.


Albert Ehrenstein: „Tubutsch“ Mit 10 Zeichnungen von Oskar Kokoschka und einem Nachwort von Karl-Markus Gauß

Wallstein Verlag € 20,60


Albert Ehrenstein (geboren am 23. Dezember 1886 in Ottakring; gestorben am 8. April 1950 in New York) war ein deutschsprachiger Lyriker und Erzähler, der als einer der wichtigsten expressionistischen Schriftsteller deutscher Sprache gilt. Von den Nationalsozialisten verfolgt flüchtete er 1941 in die USA, wo er 1950 schwer krank und verarmt starb.

Portraitfoto: The National Library of Israel

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