„Ich war vergleichsweise schnell – es hat nur 25 Jahre Übung gebraucht“

Paul Ferstl ist ein Büchermensch – er schreibt Romane, arbeitet als Literaturwissenschaftler an der Universität Wien und ist als Verleger im wissenschaftlichen Bereich tätig. Er geht als Schreibender  durchs Leben und macht das inzwischen meist in Ottakring, wo er seit fünf Jahren lebt. 

Interview: Marion Wittfeld

Ottakringer Flaneur:  Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Paul Ferstl: Ich habe als Kind viel gelesen. Aufgewachsen bin ich in Leoben in einer bildungsbürgerlichen Familie. Was blieb mir sonst also schon übrig? Da kann man auf die seltsame Idee kommen, dass erstens Literatur cool ist und zweitens nicht nur das Lesen, sondern auch das Schreiben. Ich habe mir bereits als Achtjähriger ausgemalt, eigene Romane zu schreiben.

Ottakringer Flaneur: Wann haben Sie diesen Wunsch in die Tat umgesetzt?

Paul Ferstl: Als Kind habe ich kurze Konzepte für Fantasyromane geschrieben, mit fünfzehn Jahren folgte das erste längere Manuskript. Drei Jahre später war mein erster Romanentwurf fertig. Aus heutiger Sicht: Alles Schrott.

Ottakringer Flaneur: 2014 ist Ihr Debüt „Der Knoten“ erschienen, 2018 Ihr letzter Roman „Fischsitter“ im Wiener Milena Verlag. Wie wird man Schriftsteller?

Paul Ferstl: Das kann man in zwei Teile teilen. Erstens muss man etwas einigermaßen Gutes schreiben. Ich war da vergleichsweise schnell – es hat nur 25 Jahre Übung gebraucht, bis ich das hinbekommen habe. (lacht) Der zweite Part ist, einen Verlag zu finden. Das war bei mir eine längere Zeit der Orientierung. Mit Milena verlief dann aber alles sehr schnell und positiv. Eine tolle Erfahrung.

Ottakringer Flaneur: Das passiert ja nicht immer. Wie lässt man sich auch bei Verlagsabsagen nicht entmutigen?

Paul Ferstl: Man lebt damit, weil man damit leben muss. Rückschläge gehören zum Leben dazu. Im Regelfall ist Kritik und Ablehnung aber selten gänzlich unangebracht. Es kann sein, dass das Gegenüber Unrecht hat. Es kann aber auch heißen, dass man selbst besser werden muss. Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob ich aufhören soll. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, immer einen Schritt weiterzugehen und zu versuchen besser zu werden.

Ottakringer Flaneur: Können Sie Ihren letzten Roman „Fischsitter“ kurz beschreiben?

Paul Ferstl: Es ist ein Roman über das Unbekannte. Über die Gesetze von Fressen und Gefressen werden und die Frage, inwieweit sich diese Dinge im Rahmen einer Familie abspielen – insbesondere, wenn man als Fremder in eine neue Familie kommt.

Ottakringer Flaneur: Wessen Urteil ist Ihnen hinsichtlich Ihrer Texte am wichtigsten?

Paul Ferstl: Am wichtigsten ist mir, was meine Frau davon hält. Ich habe sie aber immer im Verdacht, zu freundlich zu mir zu sein. Mein eigenes Urteil ist eher hart. Ansonsten freue ich mich natürlich immer, wenn meine Bücher gelesen, gelobt und kritisiert werden.

Ottakringer Flaneur: Ihre Frau war es auch, die Sie vor fünf Jahren nach Ottakring geführt hat. Wie gefällt es Ihnen hier?

Paul Ferstl: Sehr. Ich bin damals vom Alsergrund nach Ottakring gezogen. Im Prinzip habe ich mich also nur ein paar 100 Meter über den Gürtel hinausbewegt. Auf der einen Seite ist das keine starke Verschiebung. Auf der anderen Seite hat sich viel verändert. Mir kommt Ottakring voller und bewegter vor, gleichzeitig aber auch ruhiger. Manchmal gehe ich durch die Hasnerstraße und mir begegnen weder Menschen noch Autos. Ich bin nach Ottakring gezogen, weil es sich aus meinen Lebensumständen heraus so ergeben hat, und bin in Nachhinein doppelt froh darüber, dass es passiert ist. Ich habe den Eindruck es ist das erste Mal, dass ich in Wien wirklich Wurzeln geschlagen habe.

Ottakringer Flaneur: Sie sind nicht nur Autor, sondern hauptberuflich Wissenschaftler an der Universität Wien und betreiben auch noch einen Wissenschaftsverlag. Wann finden Sie die Zeit, Romane zu schreiben?

Paul Ferstl: Literarisches Schreiben unterteilt sich bei mir in drei Arbeitsphasen. Die erste und weitaus längste Phase besteht darin, einen „Text“ tagzuträumen. Das dauert Wochen, Monate oder auch Jahre. Das kann ich jederzeit machen, und das brauche ich auch. Ich stelle mir dann Handlungen vor und fantasiere Stimmungen. Es entwickeln sich Bilder, an denen ich mich entlang bewege. Irgendwann setze ich mich dann hin und schreibe. Das passiert meist innerhalb weniger Wochen. In der dritten Phase geht es dann ums Feilen, Umstellen, Wegwerfen. Und schließlich beginnt alles wieder von vorn.

Ottakringer Flaneur: Feilen, umstellen, wegwerfen – passende Stichworte für Ihre Doktorarbeit auf der Literaturwissenschaft, bei der Sie kurz vor Abgabe noch einmal komplett das Thema gewechselt haben. Wie kam es dazu?

Paul Ferstl: Ich habe ursprünglich begonnen, über Literaturcomics zu promovieren. Das sind Comics, in denen literarische Werke oder Stoffe aufgegriffen werden. Ich kam dann aber recht schnell zu der Erkenntnis: Comics sind großartig, Literaturcomics sind es meist nicht. Ich habe mich dann noch eine Zeit lang damit herumgeschlagen, bis ich den Entschluss fasste, lieber eine Kulturgeschichte des Wrestlings zu schreiben – viel naheliegender! (lacht)

Ottakringer Flaneur: Der untote Undertaker oder der ewige Held Hulk Hogan – beim Wrestling spielt das Erzählen von Geschichten eine wichtige Rolle. Interessiert Sie das Thema deshalb oder ist das ein zu billiger  Vergleich?

Paul Ferstl: Wrestling ist eine Unterhaltungsform, bei der für Aufmerksamkeit und um des Geldes Willen Geschichten erzählt werden. Damit ähnelt es dem Literaturbetrieb ebenso wie dem Sport oder der Politik. Es gibt es viele Parallelen. Beim Wrestling ist dem Publikum mittlerweile bewusst, dass hier etwas konstruiert wird. Das fasziniert mich.

Ottakringer Flaneur: Was war für Sie bislang die größte Herausforderung als Autor?

Paul Ferstl: Die schwierigste Herausforderung war zugleich auch eine der wichtigsten: Nach meinem Studium der Literaturwissenschaft alles wieder zu „rauszukotzen“, was ich dort aufgesogen habe und von dem ich glaubte, es habe irgendetwas mit Schreiben zu tun. Das Intellektualisieren des Lesens und Schreibens stand mir im Wege. Ich musste erst wieder lernen, nicht literaturwissenschaftlich zu schreiben.

Ottakringer Flaneur: Welche Tipps geben Sie Leuten, die selbst schreiben möchten?

Paul Ferstl: Möglichst viel zu lesen und möglichst viel zu schreiben. Sich niemals dafür zu schämen, was man gerne liest oder schreibt, und sich hinsichtlich dessen auch nicht zu verbiegen. Zusätzlich schadet es sicherlich nicht, Kontakt zu anderen Menschen zu suchen, die ebenfalls viel lesen und schreiben. Und auf Veranstaltungen zu gehen und zu schauen, was sich um einen herum so tut.

Ottakringer Flaneur: Was inspiriert Sie persönlich beim Schreiben?

Paul Ferstl: Ich habe einen unromantischen und wenig klischeebelasteten Zugang zum Schreiben. Ich denke weder groß über meine Inspiration nach, noch glaube ich an das Genie der Schriftstellerei. Schreiben ist für mich ein Lebensstil, eine Art und Weise, mit dem Leben umzugehen. Ich lebe in vielfacher Weise banal. Für mich ist es natürlich besonders, ich habe ja kein anderes Leben. Aber Schreiben ist einfach meine Art, mit dem Leben umzugehen.

Ottakringer Flaneur: Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Würden Sie gerne rein von Ihrer Literatur leben können?

Paul Ferstl: Wenn die Frage lautet „Würdest Du gerne nur Romane schreiben und keine finanziellen Sorgen haben?“, lautet meine Antwort natürlich ja. Wenn vom Schreiben leben können aber bedeutet, dass ich am Fließband Bücher veröffentlichen muss, dann nein. Ich möchte gerne leben, um zu schreiben, nicht andersherum.

Paul Ferstl, 1981 in Leoben geboren, arbeitet als Schriftsteller, Literaturwissenschafter und Wissenschaftsverleger.
Zuletzt erschienen: „Fischsitter“ (Roman, Milena Verlag 2018). In Kürze erscheint der von ihm herausgegebene Band „Dialogues between Media“ im De Gruyter Verlag.

© Marion Wittfeld

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