Du fühlst Dich als Apfel, sollst aber eine Orange sein.

Als EsRap am 28. Juni 2019 auf dem Ottakringer Yppenplatz ihr durch Crowdfunding finanziertes Debutalbum „Tschuschistan“ präsentierten, hat man einen kleinen Trick angewendet. Das Open-Air-Konzert wurde offiziell als Demonstration abgehalten. Natürlich hätte man auch in einen der umliegenden Clubs gehen können, aber man hätte nicht die erreicht, für die EsRap angetreten sind, ihre Stimme zu erheben: Die Kids auf der Straße, in den Parks, diejenigen, für die ein Clubbesuch unmöglich ist, weil sie das Geld nicht haben oder ihr Gesicht dem Türsteher nicht passt.

Das aktuelle Album „Tschuschistan“ ist am Berliner Springstoff Label erschienen und im Recordstore Ihres Vertrauens bzw. den üblichen digitalen Kanälen erhältlich.
© Daniel Shaked
 

Eine Demonstration war es nicht nur von EsRaps eigener Idee von Rap, die sich wie maßgeschneidert um die kulturelle Vielfalt von Ottakring schmiegt: Orientalisch anmutende Refrains, dargeboten von Sänger Enes, der osmanische Volksmusik und europäischen Pop mit arabisch beeinflussten Melodielinien versieht, dazu der aggressiv fordernde Rapstil seiner Schwester Esra – unterlegt mit Beats aus der Werkstatt von Freshmaker, einem der gefragtesten heimischen Produzenten.

Eine Demonstration war es auch in Sachen Selbstermächtigung. Das heißt, einen Ort für sich zu schaffen, in dem die Marginalisierten nicht nur einen Platz haben, sondern selbstbestimmt leben können. Ein Utopia, das im spielerischen Ausruf des Staates „Tschuschistan“ an Konzepte, wie George Clintons P-Funk und den kosmischen Jazz Sun Ras erinnert, die in comichafter Überzeichnung, den Weltraum als erträumten Zufluchtsort vor Rassismus und Ausgrenzung für sich deklamierten.

Die Bühne gehörte nach dem Konzert für wenige Minuten den Unsichtbaren. Rapperin Esra wirkte dabei wie eine Mischung aus Sozialarbeiterin und Patin. Es ist ihre Stärke, in eigener Sprache Ross und Reiter zu benennen. Mit der Energie eines Kraftwerks rappte sie zu rasend schnellen Balkan-Offbeats, die die Band Gasmac Gilmore zum Konzert beisteuerte: „Du hast Privileg, ich hab’ Freunde dabei. Du hast Polizei, ich hab‘ Brüder dabei, ich hab‘ Schwestern dabei, ich hab‘ Tschuschen dabei, ich hab‘ Ottakring dabei!“ Und das alles trägt sie in einer Intensität und Dringlichkeit vor, die im sonst so coolen Wien einzigartig ist. Der Ottakringer Flaneur traf Esra und und Enes zu einem Interview.

Ottakringer Flaneur: Ihr beide seid in Ottakring aufgewachsen, oder?

Enes: Ja. Ich bin auch hier zur Schule gegangen, hinter der Manner-Fabrik.

Esra: Meine Mutter dachte, dass sie mich besser in eine andere Schule schickt, wo nicht so viele Türken sind. Dann bin ich im 8. Bezirk bei der Josefstädter Straße in die Schule gegangen. Später haben wir in Sandleiten gewohnt.

OF: Hat man hier eher Freunde aus der türkischen Community oder ist das durchmischt?

Esra:Bevor wir nach Sandleiten übersiedelt sind, haben wir in einem typischen Haus voller Gastarbeiterfamilien gewohnt. In der Volksschule waren wir sehr durchmischt. Dort war ich in einer Klasse mit vielen ausländischen Kindern. Es gab viele Türken, ein paar Serben und Kroaten und ja: Das war‘s eigentlich.

OF: Andere Freunde hast du erst auf der Uni getroffen?

Esra: Nein, meine Eltern haben gesagt, ich solle die Matura machen. Sie schickten mich ans Sportgymnasium, weil ich Basketball gespielt habe. Da war ich die einzige Türkin in der ganzen Klasse. Und das war wirklich schrecklich, das hat nicht funktioniert. Ich habe dort viel Rassismus erlebt, aber nicht so einen direkten, sondern eher indirekten – ich habe gemerkt wie sie meine Sprache nachmachen. Irgendwann war ich an dem Punkt, wo ich mit niemanden mehr geredet habe.

OF: Hat sich da heute etwas verändert?

Esra: Von den Workshops her – mein Bruder und ich unterrichten in der Schule Hip Hop – glaube ich, dass es insgesamt noch so ist. Im Gymnasium bist du, wenn du als Türke in eine österreichische Klasse kommst, immer noch ein Opfer. An den Hauptschulen ist es anders. Musik wirkt dort sehr verbindend und die Mädels sind ein bisschen frech und sehr selbstbewusst.

OF: Das Selbstbewusstsein der Kinder in der Hauptschule haben die Schüler im Gymnasium nicht?

Esra: Was mich bewusst runtergezogen hat, war das Gymnasium. Du bist einfach nicht du selbst dort. Du fühlst dich als Apfel, sollst aber eine Orange sein. Ich hatte im Gymnasium das Gefühl, ich muss etwas sein, was ich einfach nicht bin und das macht unglücklich und innerlich leer.

Sie tanzten ausgelassen, bis der Strom abgedreht wurde, weil sie sich endlich trauten, sich zu zeigen. Sie wussten: Das hier ist unsere Party. EsRap hatte ihnen eine Stimme gegeben.
© Rosa Danner

OF: Aber was ist die Alternative? Heute reden doch alle davon, wie wichtig Bildung ist – gerade für Migrantenkinder.

Enes: Es gibt auch Schulen, an denen du eine Ausbildung machen und danach studieren kannst. Diese Schulen sind viel durchmischter, dort funktioniert es besser.

OF: Wer muss sich wem anpassen, damit sich das verändert?

Enes: Das Wort Assimilierung gibt mir ein schlechtes Gefühl. Mein Opa war so ein Mensch, der sagte: Passt euch an, seid leise auf der Straße. Er war Gastarbeiter und hatte immer Angst, etwas falsch zu machen. So wollte ich nicht sein.

Esra: Ich war in den USA und dort hatte ich das Gefühl, dass die Leute das ausleben, was sie sind und dadurch die Annäherung viel besser funktioniert. Wenn ich hier das Wort Anpassung höre, habe ich immer das Gefühl, ich muss etwas von mir auf die Seite geben. Das Wort Assimilierung legt mir nahe, nicht mehr so „tschuschenhaft“ zu sein. Aber will ich das? Wenn ich in einer komplett österreichischen Gruppe bin, dann versuche ich krampfhaft besser deutsch zu sprechen. Aber eigentlich ist es mir peinlich, extrem integrativ zu sein.

OF: Hat sich deine Perspektive über die Jahre verändert?

Esra: Umso älter ich werde, desto besser kann ich argumentieren, warum und wie ich etwas mache. Wurde ich früher nach meiner Religion gefragt, dachte ich mir: Scheiße, was sag ich jetzt? Wenn ich sage, dass ich Muslimin bin, glauben sie, dass ich Antifeministin sei oder als Muslima nicht zu Österreich gehöre. Migration heißt aber nicht, dass ich etwas ablegen muss, sondern, dass ich der Mehrheitsgesellschaft etwas hinzufüge.

OF: Eure Eltern sind Migranten, ihr seid hier aufgewachsen. Was hat Euch mehr geprägt – die Familie oder euer Umfeld?

Enes: Unser Vater hat uns beigebracht, keine Vorurteile zu haben – zum Beispiel Obdachlosen gegenüber. Wenn andere Eltern ihre Kinder von denen weggezogen haben, hat unser Vater immer gesagt: „Urteilt nicht über die Menschen!“

Esra: Wir hatten Schwule und Lesben in der in der Klasse. Immer wenn sie geärgert wurden, stand ich immer hinter ihnen. Wenn jemand gemobbt wurde, war ich immer die große Schwester. Auch bei unseren Workshops merkt man, dass viel gemobbt wird. Gerade dann, wenn Männer über Frauen sprechen, kann man sich oft nur fremdschämen. Diese Werte kamen immer von Zuhause. Ich habe aber nie gehört, dass meine Mutter oder mein Vater jemanden ausgelacht haben.

Enes: Es hat etwas mit der menschlichen Psyche zu tun. Jemand, der andere Menschen auslacht, der hat meistens selbst Probleme in seinem Leben. Ich habe Interviews aus der Türkei gelesen, wo sich drei Millionen syrischer Flüchtlinge befinden. Auch dort kommt heraus: Ja, die Araber sollen weg. Ich glaube, es ist immer eine innerliche Frustration, die beim Rassismus herauskommt.

OF: Wenn Rassismus immer da ist, hat das den Grund, warum ihr euer Album „Tschuschistan“ genannt habt – ein eskapistischer imaginierter Ort, an dem man all das abschütteln kann?

Esra: Wir sagen mit unserem Album einfach: Ihr seid nicht allein, wir machen uns die Welt ein bisschen besser. Es ist schwierig, Migrant zu sein. Wir Türken wollen vielleicht draußen den Teppich säubern, wir wollen gerne auf dem Balkon Tee trinken und uns unterhalten. Aber was passiert? Sofort kommt eine Beschwerde. Man will vielleicht draußen das Auto waschen. Beschwerde. Man will Sonnenblumenkerne essen. Beschwerde. Alles ist verboten – man muss sich immer verstecken. „Tschuschistan“ ist das Gegenkonzept dazu.

Text: Lars Bulnheim | Interview: Ottakringer Flaneur

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