Hundert Nadeln in einer Hand

Veronika Persché produziert in ihrem Wiener Strickatelier textile Einzelstücke und Meterware, die mitunter auch persönliche und politische Statements sind – seit Neustem wirkt sie im 16. Bezirk.

Veronika Persché – Liebhartsgasse 22 – 1160 Wien
© AFolwarski

Dass Veronika Persché vor kurzem mit ihrem Betrieb nach Ottakring in die Liebhartsgasse 22 gezogen ist, hat eigentlich einen traurigen Hintergrund. „Das Haus, in dem mein Atelier vorher untergebracht war, wird wohl nächstes Jahr geräumt“, erzählt sie. Aber sie hatte Glück im Unglück. Es ergab sich eine Gelegenheit, bei einer Kollegin einzuziehen. „Dort habe ich mich gleich in das Lokal verliebt.“ Und auch die Lage gefällt ihr: „Dass die neue Adresse im 16. liegt, ist ein glücklicher Zufall. Ich bewege mich seit über 20 Jahren in Ottakring und meine Wohnung ist auch nicht weit weg.“

Persché produziert bereits seit dem Jahr 2001 und ist damit eine Vorreiterin des derzeitigen „Do it yourself”-Trends, den man aktuell auf zahlreichen Onlineplattformen sieht. Die Stoffhandwerkerin freut das: „Ich begrüße das sehr. DIY ist quasi mein zweiter Vorname. Ich bin so aufgewachsen, dass Selbermachen einen besonderen Wert hat. Aber es ist kaum möglich, ein Handwerk nur über Youtube oder andere Medien am Bildschirm ohne haptische und sinnliche Erfahrungen zu lernen.“ Persché gibt deshalb mehrmals im Jahr ihr Wissen in Workshops weiter. Ursprünglich kommt sie aus der Gold- und Perlstickerei: Ihre textile Ausbildung hat sie an der Kunst und Modeschule KunstModeDesign Herbststraße mit dem Kunststicken begonnen, danach besuchte sie das Kolleg für Textildesign an der HTL Spengergasse.



Eine halbe Mechanikerin

Wenn eine Person, die sich handwerklich nicht so auskennt, sie fragt, ob Stricken, Weben, Sticken und Häkeln nicht alles nicht das Gleiche sei, entgegnet sie: „Da gibt es schon feine Unterschiede. Eines haben diese vier Techniken allerdings gemeinsam: Es sind alles fadenbasierte, konstruktive Textiltechniken. Das heißt, aus einem Faden werden Flächen gebildet.“ Auf die Frage, ob sie sich eher als Handwerkerin oder als Künstlerin sehe, möchte sich Persché nicht festlegen – in ihrer Arbeit seien die Übergänge fließend:

„Da kann ich gar keinen rechten Unterschied machen. Klar, der Kopf ist auch nicht unwichtig dabei. Aber ohne meine Hände und meine Strickmaschinen wären mir die meisten Entwürfe und künstlerischen Arbeiten nicht eingefallen.“ Diese Automaten sind für sie nämlich ein wichtiges Werkzeug: Das Spezielle an ihnen ist, dass hunderte von Nadeln digital einzeln angesteuert werden und somit komplexe Muster und Motive hergestellt werden können. Dabei haben diese Geräte schon einige Zeit auf dem Buckel: „Die Maschinen in meinem Atelier sind alle aus den 1960er bis 1990er Jahren und werden nicht mehr erzeugt.

Die Nadeln der Strickmaschinen können einzeln angesteuert werden.

So bin ich also notgedrungen auch halb zur Mechanikerin geworden, um Ersatzteile selbst auszutauschen und kleine Reparaturen selbst zu machen.“ Aber die Mühe ist es ihr wert – weil sie der Charme des Altbewährten reizt? „Das hat weniger mit Vorlieben zu tun als mit schlichter Notwendigkeit.

„Gerade die Corona-Krise hat ja gezeigt: Es gilt mehr denn je, regional zu produzieren.“

Veronika Persché


Modernere Modelle mit ähnlichen Möglichkeiten wären zehnmal so teuer, tonnenschwer und benötigen jahrelange Einarbeitung.“ Auch wenn sie eine Einzelkämpferin ist und sie nicht mit hochmodernen Maschinen arbeitet, fühlt sie sich der Textilindustrie zugehörig: „Als Fachfrau sehe mich auf jeden Fall als Teil davon, auch wenn mein Betrieb keine klassische Textilfabrik ist. Die Textilindustrie in Österreich wird aber leider von der Politik sehr vernachlässigt.“

Die Hoffnung gibt Persché dennoch nicht auf: „Gerade die Corona-Krise hat ja gezeigt: Es gilt mehr denn je, regional zu produzieren.“ Wie man hört, ist Persché eine politische Person mit starken Meinungen. Das spiegelt sich
auch in ihrer Arbeit wider.

Wut als Inspiration

Einen ihrer Schals ziert etwa das Zitat: „Der Platz der Frau ist im Widerstand” – daneben ein Uterus, der den Mittelfinger reckt. „Das Motiv mit dem Stinkefinger habe ich mir von Bildern des Women’s March in Washington abgeschaut. Es erklärt sich von selbst bei einem Blick auf die Innenpolitik der vorigen und jetzigen Regierung in Sachen Menschen- bzw. Frauenrechten.

Jedoch liefert diese Wut auch Inspiration: „Nachdem meine Arbeiten immer einen persönlichen Hintergrund haben, und ich mich als politischen Menschen empfinde, wird sich das auch in meiner nächsten Arbeit widerspiegeln. Da geht es um internationale Vertreterinnen des Feminismus in der Geschichte und Gegenwart.“ Neben den eigenen kreativen Schöpfungen, ist der Großteil ihrer Arbeit dennoch weiterhin Dienstleistung: „In Kooperation mit Künstler*innen und Designer*innen setze ich Entwürfe um.

Da bin ich froh, mich hauptsächlich um das Material zu kümmern und nicht um Style oder Form.“ Auf eine Kooperation ist sie besonders stolz: Für das Saarländische Staatstheater hat sie einen der Catsuits von David Bowies
Ziggy-Stardust-Tour nachbearbeitet. „Als Fan ein großartiges Projekt! Außerdem nicht ganz einfach. Schwierig war es auch deshalb, weil es wegen der Entfernung keine Anproben gab. Ich musste also auf den sehr genauen Schnitt der Gewandmeisterin vertrauen. Aber es hat wunderbar geklappt. Leider konnte ich die Show nicht live sehen. Aber nachdem eh David Bowie nicht selbst mit dabei war, kann ich damit leben.“ Und gibt es wen, mit dem sie in Zukunft nochmal zusammenarbeiten würde? „Da möchte ich mich gar nicht festlegen. Schön ist es, wenn ausreichend Zeit ist und die Kommunikation gut ist. Gerade bei den „großen“ Namen ist das aber oft nicht der Fall und es gibt zu wenig Verständnis fürs Handwerkliche.“ Doch das ändere sich jetzt glücklicherweise – dank des „Do it- yourself“-Trends.

Zurück nach oben