Tino Schlench von @Literaturpalast als Ottakringer Live Ticker © Michael Marlovics

Ottakringer Live Ticker: Bühne16

Ein Sonntag im Oktober

Sebastian Kurz ist schon zum zweiten Mal kein Bundeskanzler mehr. Politisches Laienschauspiel. Dann lieber gleich ins richtige Amateurtheater. Ein Improvisations-Abend der Bühne16 in Ottakring.

18:51

Eine große Menschentraube vor dem Theatereingang. Viel Bier, viel Nikotin und verhaltene Umarmungen. Die meisten hier scheinen sich zu kennen.

18:56

Der Vorraum im Hochparterre ist zu klein, um Foyer genannt zu werden. Der Mann an der Kasse erklärt mir das Ticket. Es sei gleichzeitig Eintrittskarte, Sitzplatzmarkierung und Notizzettel für ein Spiel in der Pause. Ein Gewinnspiel? Womöglich für eine Rolle im Stück?

18:59

Die Sorge um einen ungewollten Auftritt treibt mich zum Büffet. Mir wird zu einem Bio-Bier geraten. Mild, süffig, nicht metallisch. Passt.

19:01

Mit meinem Bier tapse ich in den Theatersaal. Rote Sessel und Vorhänge. Entspannte Puff-Atmosphäre also.

19:05

Langsam trudeln auch die anderen Gäste ein. Sehr hohe Pärchen-Dichte (hetero).

19:07

Zu meiner Rechten hat sich eines der vielen Pärchen (hetero) eingefunden. Beide sind ganz schmal und tragen enge Oberteile.

19:09

Auftritt Günter, der Kassenmann von eben. Laut Website ist er auch der Versicherungsvertreter des Hauses. Das schafft Vertrauen.

19:11

Es folgt eine Einführung in die Welt des Improvisationstheaters: Hier sei nichts einstudiert, aber alles möglich. Zudem sei das Publikum gefragt. Durch Zurufe und Applaus könne jederzeit auf das Bühnengeschehen eingewirkt werden.

19:13

Weil Zurufe und Applaus wichtig sind, werden sie nun geprobt. Mehrfach. Und noch einmal. Also wirklich oft. Lockerungsübungen folgen.

19:17

Die Schauspieler:innen laufen ein. Sechs Damen und zwei Herren. Und Günter spielt ja auch irgendwie mit. Vom Bühnenrand. Er ist das Nummern-Girl, das dem Publikum den Namen des kommenden Formats verrät. Diese Formate verleihen dem Abend eine lose Struktur.

19:19

Der Abend beginnt mit einem „Marathon“, da zwei Schauspielerinnen einen solchen andeuten und dabei ins Gespräch kommen. Beim Stichwort „Freeze“ kommt es zu einem Figuren-Wechsel.

19:21

Günter fragt das Publikum nach einem ausgefallenen Hobby. Jemand sagt „Kitesurfing“. Erste Andeutung eines Geschlechtsaktes auf der Bühne. Erstaunlich spät eigentlich. Ein Kleinkind zwei Reihen hinter mir fängt an zu weinen.

19:23

Nach weiteren Beischlaf-Andeutungen stellen die Schauspieler:innen eine Szene aus „Dirty Dancing“ nach. Die Technik reagiert schnell, prompt ertönt „Time of my Life“.

19:24

Die dirty Hebefigur misslingt gewaltig. Der Sturz der Behobenen ist war zwar nur angedeutet, doch beim Aufstehen ist ihr Gesicht fast so rot wie der Bühnenvorhang. Dafür hat sie sich einen Scheidungsantrag verdient. Zustimmender Applaus des Publikums.

19:33

Weil ich nebenher mitschreibe, bin ich sehr ruhig. Ich lüge meiner Sitznachbarin ins schmale Gesicht, ich sei versierter Journalist mit Ladehemmung. Für meine investigative Reportage über den Wiener Theater-Underground sei volle Konzentration und eine Fülle an Notizen unerlässlich. Sie dreht sich wieder zu ihrem schmalen Freund. Passt.

19:36

Das nächste Format erinnert an eine schlecht synchronisierte Werbesendung aus den 90ern. Zwei Schauspieler:innen bewegen nur die Lippen, während zwei andere am Bühnenrand für sie sprechen. Was verkauft wird, entscheidet erneut das Publikum. Gesucht wird nach einem nutzlosen Haushaltsgerät, das im Grunde niemand verwendet. Die Zuschauer:innen entscheiden sich für einen Herd.

19:39

„Zeig mir doch mal das gute Stück!“ Endlich ein Penis-Witz.

19:41

„Na dann holen wir mal die Töpfe raus!“ Endlich ein Witz über Töpfe.

19:46

Günter kritisiert den verhaltenen Applaus als „Floridsdorf-Edition“. Das will man sich hier nicht gefallen lassen.

19:50

Es folgt ein Kriminalformat. Gesucht wird nach einem passenden Mordwerkzeug. Das Publikum denkt nachhaltig und abbaubar: Eine Banane soll es sein. Das ist keinen Moment schaurig. Aber gut. Bestes Format bisher.

20:07

Pause. Die Zuschauer:innen sollen ei- nen Aussagesatz auf ihr Ticket schreiben und dieses in eine dafür vorgesehene Kiste stecken. Ich habe große Angst davor, aufgerufen zu werden und notiere sicherheitshalber: „Ich möchte das nicht.“

20:10

Aber ein Bier, das würde ich schon noch nehmen.

20:26

Weiter geht’s. Ein Darsteller soll erraten, dass er Essiggurken-Experte ist. Er trägt einen weißen Kittel. Eine Kollegin stellt Entscheidungsfragen, eine andere greift von hinten durch den Kittel und bemüht sich, diese mit ihren Händen zu beantworten.

20:31

Penis-Witze und La-Ola-Wellen. Die Essiggurken werden tatsächlich erraten.

20:43

Die Kiste mit den eingereichten Sätzen kommt zum Einsatz. Zwei Darstellerinnen greifen nach den beschrifteten Tickets, die dann sofort in die Situation eingebaut werden müssen.

20:48

Gleich zweimal in der Kiste vertreten: „Man bringe den Spritzwein!“ Nur zweimal? Floridsdorf-Edition.

20:49

Mein Zettel wird nicht gezogen. Nun bin ich doch etwas enttäuscht.

20:52

Ein Format über betende, doch brunftige Nonnen in der Hundezone. Dreimal La-Ola.

20:59

Ein Format, in dessen Verlauf das Genre wechselt. Welches Filmgenre interessiert das Publikum am meisten? Eine ruft: „Krimi!“ Ein anderer meint: „Actionfilm!“ Alle anderen rufen: „Porno!“

21:11

Das letzte Format des Abends. Zwei Boys treffen ein Girl und tragen es am Ende von der Bühne. In zwei Minuten. Die Szene wird wiederholt, aber diesmal in 30 Sekunden. Dann in zehn Sekunden. Und letztlich in zwei Sekunden.

21:16

Und jedes Mal schwebt die Figur von der Bühne und macht einen Abgang.

21:17

Der Name des Formats lautet übrigens „Kurz und kürzer“. Passt.


(Gerüchteweise entstand dieser Text bereits nach dem ersten Abgang von Sebastian Kurz im Jahr 2019. Der Autor möchte dazu keine Stellung beziehen.)

Tino Schlench ist Buchblogger und beschäftigt sich in seiner Arbeit vornehmlich mit dem europäischen Osten. Seine Beiträge erscheinen auf www.literaturpalast.at und auf Instagram: @literaturpalast.

In der BÜHNE16 läuft aktuell das 2-Personen-Stück „Gut gegen Nordwind“.
Wann, erfahren Sie hier:
https://www.buehne16.at/304-buehne16-gut-gegen-nordwind

Wo?
„B16“ Ganglbauergasse 36/6 · 1160 Wien

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